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Kreuzfahrten nach dem Costa-Unglück

Die Kreuzfahrtbranche ist alarmiert: Das Costa-Unglück gefährdet ihr rasantes Wachstum. Sicherheitsübungen werden daher noch ernster genommen als früher. Auf "Aida Blu" bleiben Passagiere und Crew gelassen.

Aida Blu in Sharm el-Sheikh. Foto: Oliver Heider

Ruhig liegt das Kreuzfahrtschiff mit aufgemaltem Kussmund am Bug im Hafen von Sharm el-Sheikh. Trubel herrscht auf Deck 5 der Aida Blu, wo sich gut 2000 Passagiere dicht an dicht drängen. Ein Rentner zückt eine Kamera, es blitzt. „Fotoapparat weg, die Übung ist noch nicht beendet“, ruft ihm ein Crewmitglied mit ernster Miene zu.

Kein Zweifel: An Bord weht ein strengerer Wind als früher. Die Seenotrettungsübung, bei der sich alle Passagiere an festgelegten Sammelpunkten einfinden müssen, macht ihrem englischen Namen („Muster Drill“) nun alle Ehre.

Das Unglück der Costa Concordia hat die Branche alarmiert: Auch bei Aida Cruises, einer Tochterfirma der italienischen Reederei Costa Crociere, findet die Übung jetzt vor dem Auslaufen statt.

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Marianne und Monika Zirngibl auf Aida Blu. Foto: Oliver Heider

Aida-Passagierin Monika Zirngibl aus Regensburg findet das gut. Doch die 48-Jährige und ihre Mutter Marianne sind mit ihren angelegten Rettungswesten noch nicht an der „Musterstation“ angekommen. Die 71-Jährige sitzt im Rollstuhl; beide warten vor einem Aufzug. Rücksicht auf Rollifahrer? Fehlanzeige.

Erst nach einigen Minuten geht es voran. „Wie wir im Notfall schnell von unserer Kabine auf Deck 8 zur Sammelstelle auf Deck 5 kommen sollen, ist mir schleierhaft“, sagt Monika Zirngibl.

Für diesen Fall sei Personal eingeteilt, das Gehbehinderte über die Treppen trage, versichert Kapitän Friedhold Hoppert. Rollstuhlfahrer sollten sich vor Reisebeginn an der Rezeption melden, weil im Notfall die Aufzüge gar nicht funktionierten.

Bei der Übung wird das nicht simuliert. Warum? „Wir tolerieren das Benutzen des Aufzugs, weil sich die Leute womöglich nach einer beschwerlichen Anreise nicht vorher gemeldet haben.“

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Friedhold Hoppert auf der Brücke von Aida Blu. Fot: Oliver Heider

Nachdem das Schiff im jordanischen Aqaba und israelischen Eilat lag, hat es wieder in Ägypten, in Safaga, festgemacht. Kapitän Hoppert sitzt entspannt an einem Tisch auf der Brücke, nippt an einer Tasse Cappuccino.

Am grundsätzlichen Sicherheitskonzept an Bord habe es keinen Anpassungsbedarf gegeben. „Natürlich sind wir durch das Unglück sensibilisiert. Wir tun aber immer schon mehr, als die gesetzlichen Bestimmungen fordern.“ So müssten etwa Rettungsboote einmal pro Monat ausgesetzt werden, auf der 252 Meter langen Aida Blu geschehe das öfter.

„Es gibt fast täglich Übungen für die Besatzung.“ Neue Crewmitglieder, die alle gut Englisch sprechen müssen, würden rasch eingewiesen; jeder habe im Notfall eine Aufgabe. Zur internen Kontrolle würden Leute in einen Rollstuhl in öffentliche Toiletten gesetzt. „Auch diese müssen bei Übungen durchsucht, und die Rollstuhlfahrer gefunden werden“, erklärt Hoppert.

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Rollstuhlfahrer bedürfen im Notfall besonderer Hilfe. Foto: Oliver Heider

Der 62-jährige Thüringer, der früher große Frachter steuerte, ist ein Mann der ersten Stunde. Als die Rostocker Reederei 1996 startete, „wurden wir von vielen Seiten belächelt“. Jetzt ist Aida Cruises, das trotz Costa-Unglück ein „lebendiges Buchungsgeschäft“ spürt, die Nummer eins in Deutschland.

Das Unternehmen ist auf Wachstumskurs, seit 2007 gibt es jedes Jahr ein neues Schiff mit Platz für je 2200 Gäste und 620 Crewmitglieder. Bordsprache ist Deutsch, was vor allem ältere Gäste beruhigt.

Zu Kampfpreisen von 300 Euro pro Woche, wie bei anderen Reedereien, sind Fahrten auf Aida-Schiffen nicht zu haben. Eine Woche auf einem der acht Ozeanriesen kostet selten unter 600 Euro. Zwei neue Schiffe starten dieses und nächstes Jahr. 2015 und 2016 folgen zwei noch größere – für je 3250 Passagiere. Gebaut werden sie in Japan.

Poolparty

Sind Menschenmassen im Notfall evakuierbar? Foto: Oliver Heider

Dass die Menschenmassen auf solchen Riesendampfern evakuierbar sind, bezweifeln Experten. Hoppert sieht das anders: „Eine eventuelle Evakuierung läuft parallel ab.“

Es müssten nicht alle Gäste durch einen Treppenaufgang. Weil die Schiffe größer seien, gebe es mehr Rettungsboote und Sammelplätze. Auch Fluchtwege seien auf einen reibungslosen Ablauf hin optimiert.

Vom Costa-Unglück erfuhr Hoppert im Urlaub: Er war „schockiert“. Entsetzt war auch Marianne Zirngibl. Sie habe zwar „keine Angst, aber ein unbehagliches Gefühl“. Ihre Tochter ist gelassener: „Das ist wohl auch eine Altersfrage.“

Beide haben ein Dutzend Seereisen, vor allem auf US-Schiffen, hinter sich. „Lauter, schriller, größer“ seien diese. Trotzdem finde sich dort stets ein Platz zum Lesen, Entspannen. 4-D-Kinos und Poolpartys, wie es sie auch auf Aida-Schiffen gibt, sind nicht ihr Ding, der 2600-Quadratmeter-Wellnessbereich schon.

Bierbrauer

Andreas Maier braut Bier an Bord von Aida Blu. Foto: Oliver Heider

Die beiden sitzen im Brauhaus auf Deck 10. Es ist Seetag, von Safaga nach Sokhna – dem Kreuzfahrer-Tor nach Kairo. Zuvor ist Frühschoppen angesagt. Monika Zirngibl bestellt ein kleines, an Bord gebrautes Bier. Aida Blu war 2010 der weltweit erste Kreuzer mit eigener Brauerei.

Am Eingang steht Braumeister Andreas Maier, er zapft den Gästen ihr Bier. Der 46-Jährige ist ein lustiger Typ – und vielseitig interessiert. Für vier Monate ist er von seinem Job bei Stuttgarter Hofbräu – dort ist er auch Brandschutzbeauftragter – freigestellt. In Althütte (Rems-Murr-Kreis) ist er auch noch aktiver Feuerwehrmann.

Zwei Tage vor dem Costa-Unglück kam er auf die Aida Blu. Angst hat er, wie die meisten Mitarbeiter, nicht; jedes Crewmitglied übe an Land eine Woche intensiv etwa das Löschen unter Vollatemschutz, die Rettung bei „Mann über Bord“, das Lenken von Menschenmassen im Notfall. Maier ist aber klar, dass sich der Faktor Mensch in Extremsituationen nur schwer simulieren lässt.

SharmElSheikh

Aida Blu in Sharm el-Sheikh. Foto: Oliver Heider

An Bord stehen für die Crew immer wiederkehrende Feuer-, Evakuierungs-, Rettungsboot-Übungen an. Sie laufen meist ab, ohne dass Passagiere davon Wind bekommen. Maier leitet im Notfall die Evakuierung im Brauhaus und Steak-Restaurant. Die Brücke weist ihn an, er sucht seinen Bereich nach Personen ab.

Auf die Brandschutz-Ausrüstung hält Maier große Stücke: „Das Beste, was der Markt hergibt.“ Atemschutzgeräte mit 35-Meter-Schlauch, Hochdruck-Sprinkleranlagen, Handlöschkanonen. Er fühlt sich daher „sicherer als in Kaufhäusern oder Discountern“. Beruhigend, zumal Feuer eine der größten Gefahren auf Schiffen ist.

Das Schiff ist zurück in Sharm el-Sheikh. Maier experimentiert mit jenem Bier, einem Weizenbock, das zum Hamburger Hafenfest ausgeschenkt wird. Im Mai. Dann werden die Zirngibls wieder in See stechen. Richtung Norden, um Norwegen herum.

*** Dieser Artikel ist am 13.04.2012 in der SÜDWEST PRESSE erschienen. Die Reise kam auf Einladung von Aida Cruises zustande. Einen Einfluss auf die Berichterstattung hatte dies zu keinem Zeitpunkt ***

Über Oliver Heider (37 Beiträge)
Journalist. Blogger. Reisender.

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