„Killer-Kombination von Urlaubsfeatures“
Hochsee-Kreuzfahrten boomen. Ob das so bleibt und welche Auswirkung die Entwicklung hat, erklärt Professor Alexis Papathanassis von der Hochschule Bremerhaven.
1,77 Millionen Deutsche haben voriges Jahr auf hoher See Urlaub gemacht. Was fasziniert die Menschen so sehr an Kreuzfahrten?
ALEXIS PAPATHANASSIS: Als Urlaubsform hat das Kreuzfahrtprodukt einige deutliche Vorteile: Komfort, Erlebnis- und Zielgebiets-Vielfalt, super Preis-Leistungsverhältnis, hohe Service- und Qualitäts-Standards in allen Bereichen. Und das alles kombiniert mit Meeresromantik und einem modernisiertem Image. Kurz gesagt: Kreuzfahrten sind heutzutage eine Killer-Kombination von Urlaubsfeatures.
Die Zahl der Schiffe steigt weltweit weiter an, größer werden die Ozeanriesen aber derzeit nicht mehr. Sind die Grenzen inzwischen erreicht?
PAPATHANASSIS: Technologisch gesehen denke ich nicht. Allerdings im Bezug auf Produktnachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Kapazitätsrisiko stellen Megaships nach wie vor eine große Herausforderung dar. Für die Kreuzfahrtbranche und einen nachhaltigen Nachfragezuwachs sind Produktvielfalt, Diversifizierung und Innovation essentiell. Eine weitere Kapazitäts- und Markt-Konzentration würde das wirtschaftliche und nachhaltige Passagierwachstum gefährden. Das haben wir im regulären Pauschaltourismus schon erlebt.
„Es gibt immer mehr hybride Kunden.“
Apropos: Geht der Kreuzfahrt-Boom zulasten der Hotels und Clubanlagen an Land?
PAPATHANASSIS: Theoretisch ja. Von dem Preis und der Demografie der Teilnehmer her betrachtet ist eine Kreuzfahrt mittlerweile eine vergleichbare Alternative zu einem hochwertigen Urlaub an Land. Deswegen gibt es im Gegensatz zu „reinen Kreuzfahrern“ immer mehr „hybride Kunden“. Kreuzfahrten sind in der Tat im Urlaubsmainstream angekommen. Allerdings repräsentieren Kreuzfahrten faktisch im Vergleich zum gesamten touristischen Volumen einen eher kleinen Anteil. Hinzu kommt, dass vermehrt „Land-See-Produkte“, also zum Beispiel Vor- oder Nach-Programm an Land, entwickelt und verkauft werden. Dadurch können Hotels und Clubanlagen vom Kreuzfahrtboom profitieren.
Wie groß ist das Potenzial tatsächlich in Deutschland noch, Kreuzfahrtneulinge für diese Art von Urlaub zu gewinnen?
PAPATHANASSIS: Wenn wir den amerikanischen Markt und die entsprechende Marktdurchdringung als Benchmark nehmen, können wir von einer Verdoppelung der heutigen Passagierzahlen ausgehen. Allerdings gibt es eine Reihe von makro-ökonomischen Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Und die sind sehr schwer vorauszusagen.
„Nachfrage auf Basis von Preisverfall und der daraus resultierende Reisepreiswettbewerb sind nicht nachhaltig.“
Aida Cruises stellt bald zwei neue Schiffe in Dienst, Tui Cruises erweitert seine Flotte um drei Schiffe bis 2017. Wie viele Ozeanriesen verträgt der deutschsprachige Markt noch?
PAPATHANASSIS: Beide Konzepte haben sich als sehr erfolgreich bewiesen. Das Wachstumspotenzial in Deutschland ist noch nicht erreicht. Allerdings ist diese Kapazitätsexpansion an Management-Herausforderungen gekoppelt: Flottenmanagement, Pricing&Yield-Management (Anm. der Red.: Preis- und Ertragsmanagement), Markt-Positionierung und Vertriebsstrategie. Die Konzepte sind in der Tat erfolgreich und vielversprechend. Jetzt ist professionelles und kompetentes Management der Schlüssel.
Wie wird sich das Flottenwachstum auf den reinen Reisepreis auswirken? Diesen wollten die Reedereien, allen voran Tui Cruises, doch eigentlich wieder anheben. Ist das durchzuhalten?
PAPATHANASSIS: Wenn Kapazitäten wachsen, muss die entsprechende Nachfrage da sein oder erzeugt werden. Deswegen reden wir immer von „Marktpotenzial“. Nachfrage auf Basis von Preisverfall und der daraus resultierende Reisepreiswettbewerb sind nicht nachhaltig. Deswegen ist Innovation, Produktentwicklung und Differenzierung hier weiter zu verstärken. Diesbezüglich sind Tui-Themenkreuzfahrten ein sehr sinnvoller Ansatz.
„Für den Kreuzfahrtkunden der Zukunft werden PR-Aktionen vom Typ „Mülltrennen an Bord“ nicht ausreichen.“
Umweltverbände klagen immer wieder lautstark über die Öko-Bilanz der Kreuzfahrtschiffe. Die Reedereien verpassen sich inzwischen zunehmend einen grünen Anstrich. Welche Hausaufgaben müssen die deutschen Unternehmen noch in Sachen Umweltschutz erledigen?
PAPATHANASSIS: Energieeffizienz bleibt und wird weiterhin zentral für Redereien bleiben. Das ist sowohl wirtschaftlich als auch umwelttechnisch sinnvoll. Meiner Meinung nach müssen wir das Thema Umweltschutz erweitern, um sozio-ökonomische Aspekte aufzunehmen. Verantwortung und Nachhaltigkeit sind weitreichender als Umweltschutz und bedeuten eine Unternehmenskultur und Managementphilosophie, die für Redereien – insbesondere in Deutschland – ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist. Für den Kreuzfahrtkunden der Zukunft werden PR-Aktionen vom Typ „Mülltrennen an Bord“ nicht ausreichen.
Die Flusskreuzfahrt-Branche hat sich nach zwei schwierigen Jahren etwas erholt. Die Passagierzahlen sind wieder angestiegen. Wird es dort weiter bergauf gehen?
PAPATHANASSIS: Hier bin ich skeptisch. Strukturell haben Flusskreuzfahrten weniger Spielraum, mit Nachfrageschwankungen und Branchenkonkurrenz umzugehen. Restriktionen im Bezug auf Route-Gestaltung, Schiffsgröße und Kostenstrukturen reduzieren die Möglichkeiten, auf Saisonalitätsrisiken und Marktrends zu reagieren. Hier erwarte ich eine weitere Konzentration der Branche durch M&A-Aktivität (Anm. der Red.: Kauf und Zusammenführung von Firmen). Unternehmensgröße ermöglicht mehr Kapital für Entwicklungsinvestitionen und/oder eine Risikoverteilung.
Zur Person

Alexis Papathanassis. Foto: privat
Alexis Papathanassis ist 39 Jahre alt. Er ist Professor an der Hochschule Bremerhaven und erforscht dort das Geschäft mit Kreuzfahrten.
*** Dieses Interview ist am 13.03.2015 auf www.swp.de erschienen. ***
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