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Arabisch Roulette: Kreuzfahrt mit Überraschungseffekt

15 Tage von Dubai bis Antalya: eine verheißungsvolle Oster-Kreuzfahrt. Doch die Planung der Route wurde wegen der Unruhen in der arabischen Welt zum Glücksspiel. Ein Reisetagebuch der besonderen Art.

Morgenstimmung im Suezkanal. Foto: Oliver Heider

„Willkommen im neuen Ägypten.“ Reiseleiter Said steht in einem klimatisierten Reisebus, hält ein Mikrofon in der Hand und strahlt. „Said bedeutet ,der Glückliche'“, erklärt er. So fühlt er sich auch: glücklich, gerührt, stolz.

„Unsere Kinder haben Großes vollbracht.“ Die Facebook-Generation stürzte Ägyptens Machthaber Husni Mubarak. Zwei Monate danach kommen sie allmählich wieder: die Touristen, die für das bettelarme Land eine so wichtige Einnahmequelle sind.

Said begleitet uns von der Hafenstadt Safaga nach Luxor, ins Tal der Könige, zum Karnak-Tempel, den Kolossen von Memnon. Diese Touristenmagnete waren es, welche die Aussicht auf die Kreuzfahrt „Transarabien 6“ mit der Aida Diva so reizvoll gemacht hatten.

Dass sich in Tunesien ein Mann anzündet und den Revolutionsgeist in der arabischen Welt entfacht, konnte freilich niemand ahnen – an jenem regnerischen Buchungstag Anfang Dezember. Was damals folgte, war eine Reise ins Ungewisse für Urlauber, die lang nicht wussten, auf welcher Route sie unterwegs sein werden. Änderungen gab es noch an Bord.

Ein Reistagebuch der besonderen Art

4. Januar 2011: In Tunis erliegt der arbeitslose Mohammed Bouazizi Verbrennungen. Wochen zuvor hatte er sich selbst in Brand gesteckt. Landesweite Proteste sind die Folge.

17. Januar: Der Aufruhr erreicht Ägypten. Auch vor dem Parlament in Kairo zündet sich ein Mann an. Er überlebt schwer verletzt. Einem Arbeitslosen in Alexandria gelingt ein solch grausamer Freitod. Daraufhin demonstrieren Tausende gegen das Mubarak-Regime. Braut sich da eine ähnlich instabile Lage zusammen wie in Tunesien, wo immer noch Chaos herrscht? Verunsicherung macht sich breit.

Die Lage spitzt sich zu in Ägypten

25. Januar: Oppositionelle in Ägypten rufen zum „Tag des Zorns“ auf. Die Lage spitzt sich zu. Was, wenn der Suezkanal dicht gemacht wird? „Dann gehen aber viele Lichter aus“, schreibt „Posito“ im Kreuzfahrer-Forum http://www.wasserurlaub.info. „Baerenbaby6“ hält diese Angst für unbegründet. Schließlich sei die Passage zuletzt von 1967 bis 1975 gesperrt gewesen – in und nach dem Sechs-Tage-Krieg.

1. Februar: Der „Marsch der Millionen“ auf Kairo verschärft die Lage erneut. Die Vereinten Nationen gehen von 300 Toten und 3000 Verletzten aus. Jetzt ist klar: Ein schnelles Ende ist nicht in Sicht. Mitleid mit dem ägyptischen Volk mischt sich mit der Aussicht, Tage der Enttäuschung im sehnlich erwarteten Jahresurlaub zu erleben. Und was hört man vom Reiseveranstalter? Bis jetzt noch kein Wort.

Machthaber Mubarak tritt zurück

4. Februar: Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez. Der Suezkanal bleibt aber weiterhin offen. Zum Glück.

11. Februar: Am Abend tritt Machthaber Mubarak ab. Das Volk feiert. Ein erster Schritt zur Demokratie ist getan.

12. Februar: Um 7.07 Uhr landet eine E-Mail vom Veranstalter Aida Cruises im Postfach. „Wir werden nicht wie geplant in Luxor/Safaga, Sharm El-Sheikh und Kairo/Adabya anlegen, sondern in Haifa und in Marmaris.“ Ohje: Nach dem Aufenthalt in Salalah stehen demnach sechs Seetage bisHaifa auf dem Programm – so viel wie noch nie für uns. Droht ein Bordkoller?

Aida-Sprecher Wohsmann: „Die Realität gibt uns recht.“

13. Februar: Zur Verwirrung gesellt sich im Forum Unmut. „Da die Eskalation in letzter Minute verhindert wurde, könnten doch auch wieder die ursprünglichen Häfen angelaufen werden“, meint „Heizergruss“. Hat die Reederei voreilig gehandelt? Diesen Vorwurf wird Pressesprecher Markus Wohsmann später zurückweisen: „Nein. Die Realität gibt uns recht. Denn auch nach dem Rücktritt (des Präsidenten) kam es noch mehrfach zu Gewaltexzessen.“

Und was ist mit Entschädigungen für jene, die die Reise nicht – wie viele andere – kostenpflichtig storniert haben? Wohsmann verweist auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Darin heißt es: „Änderungenwesentlicher Reiseleistungen (. . .) sind gestattet, soweit die Änderungen nicht erheblich sind und den Gesamtzuschnitt der Reise nicht beeinträchtigen. Das gilt (. . .) auch für Änderungen der Fahrt und Liegezeiten und/oder der Routen (vor allem auch aus Sicherheits- oder Witterungsgründen).“

Tote und Verletzte in Bahrein

14. Februar: Während einige Forumsnutzer stornieren, haben die Menschen in Bahrein wahrlich existenzielle Sorgen. Auch dort gibt es Tote und Verletzte. Das Königreich liegt am Persischen Golf – wie Dubai. Schwappt die Protestwelle dorthin? Wohin fliegen wir dann? Wird die Reise ganz abgeblasen, quasi von den Unruhen verweht?

27. Februar: Im Sultanat Oman schlagen die bisher friedlichen Proteste um. Das Militär greift gewaltsam ein. Zwei Menschen sterben. Dabei hatten Nahost-Experten stets betont, dem Oman gehe es wirtschaftlich gut, das Konfliktpotenzial sei gering. Sollten die Städte Muscat und Salalah entfallen, drohen uns ein verlängerter Aufenthalt in einem anderen Hafen oder noch mehr Seetage am Stück – von Abu Dhabi bis Israel.

Wohsmann: „Sollte die Sicherheit von Gästen und Crew nicht mehr gewährleistet sein, werden wir umgehend reagieren.“

23.März: Bombenanschlag in Jerusalem: eine Tote, 30 Verletzte. Während sich in Ägypten und im Oman die Lage etwas beruhigt hat, droht der Israel-Palästina-Konflikt erneut zu eskalieren. Aida Cruises will die Situation beobachten. „Sollte die Sicherheit von Gästen und Crew nicht mehr gewährleistet sein, werden wir umgehend reagieren“, erklärt Wohsmann.

31. März: Die Reiseunterlagen kommen. Damit Gewissheit? Es ist keine weitere Umroutung ersichtlich. Jedoch liegt eine Broschüre bei – mit Ausflügen nach Luxor, Sharm El-Sheikh und Kairo. Sie wurde zu früh gedruckt. Im Internet sind diese Ausflüge nicht buchbar. Nur jene von Marmaris und Haifa aus.

9. April: In Kairo fordern Zehntausende, dass Mubarak der Prozess gemacht wird. Das Militär schreitet ein: ein Toter, 70 Verletzte. Es ist wohl die richtige Entscheidung, Ägypten zu meiden.

14. April: Die Reise beginnt und kann zunächst wie zuletzt geplant stattfinden. Die Übermorgenstadt Dubai mit ihren Superlativ-Bauten wie dem Burj Khalifa, dem mit 828 Meter höchsten Gebäude der Welt.

Abu Dhabi, wo vor 40 Jahren noch die Wüste um sich griff, heute dank des Öls Prunk regiert und die drittgrößte Moschee der Welt steht. Ein spektakulärer Jeepausflug in die Wüste Al Khatim zum Sonnenaufgang. 1001-Nacht-Feeling in Muscat. Von Unruhen ist dort wie auch im Südoman zu diesem Zeitpunkt – anders als nur wenige Tage nach unserem Besuch – nichts zu sehen.

19. April: Das Schiff liegt im Hafen von Salalah. Kurz vor 19 Uhr verkündet Kapitän Przemyslaw Kurc, die „Diva“ werde jetzt doch in Safaga anlegen – statt in Marmaris. In Kairo komme es aber immer noch zu Protesten. Der Tahrir-Platz, das Nationalmuseum, die Pyramiden müssen weiter auf uns warten.

Die Entscheidung sei „in enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und den Sicherheitsbehörden vor Ort“ gefallen. Es sieht so aus, als wollte die Reederei weder Ägypten noch Israel-Fans verärgern. Denn die von Sicherheitspersonal überschwemmte Drei-Religionen-Stadt Jerusalem ist mehr als 1300 Schiffsgästen einen Ausflug wert. Marmaris-Liebhaber sind enttäuscht. Aber: Es allen rechtzumachen gleicht der Quadratur des Kreises.

Reiseleiter Said ist froh, dass die Kreuzfahrer sein Land nicht umschifft haben – das neue Ägypten, das mit alten Problemen zu kämpfen hat: mit Dreck, aufdringlichen Straßenverkäufern und „Vitamin B“, wie Said sagt. Vitamin B? „Bestechung.“ Vor allem in der schlecht bezahlten Polizei verbreitet.

Dennoch hofft er, dass auch ins sehenswerte Kairo bald wieder Touristen strömen. Auf der Rückfahrt nach Safaga sagt Said: „Ich hoffe, Sie behalten ihren Ägypten-Besuch in guter Erinnerung und erzählen ihren Landsleuten von unserem schönen Land.“ Das tun wir.

*** Dieser Artikel ist am 12.05.2011 in der SÜDWEST PRESSE erschienen. ***

Über Oliver Heider (37 Beiträge)
Journalist. Blogger. Reisender.

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